Timeline-Arbeit als Methode im Narrativen Coaching und Training
Einleitung
Was ist Timeline-Arbeit im Coaching?
Timeline-Arbeit ist eine narrative Methode, mit der Klient:innen ihre Geschichte entlang einer Zeitachse sichtbar machen — von der Vergangenheit bis zur Gegenwart und bis in die Zukunft. Die Timeline-Methode eignet sich besonders gut, um Muster, Wendepunkte und Ressourcen in der Lebensgeschichte, Projekten oder bestimmten Themen zu erkennen. Anders als eine historische oder journalistische Recherche verbindet sie im Narrativen Coaching Reflexion, Emotionen und Körpererfahrung, oft auch einen systemischen Blick, und ist daher besonders wirksam. Es gibt Varianten der Timeline-Methode, oder mann kann auch mehrere Methoden voneinander unterscheiden. Ich gebe dir in diesem Artikel eine Einführung in die Timeline-Arbeit mit Einzelpersonen oder Teams und stelle dir Varianten vor.
Wodurch unterscheidet sich Timeline-Arbeit von anderen Coaching-Methoden?
Viele Menschen erzählen ihre Geschichte in einzelnen Episoden, aber ohne roten Faden. Timeline-Arbeit legt diesen roten Faden frei – und macht sichtbar, wo auch unter der Oberfläche wertvolle Erfahrungen vorhanden sind. So lässt sich die Methode nutzen zum Beispiel für:
Klärung der eigenen Lebensgeschichte oder von Episoden
Reflexion von Projekten, um Learnings zu dokumentieren
Allgemein in der Ressourcenarbeit im Coaching
Als Vorbereitung auf wichtige Entscheidungen
Unter diesem Artikel findest du ein Foto von einem meiner Workshops und die Backstory dazu, warum und wie ich die Timeline-Methode für mich entdeckt und für meine Teilnehmer, Kunden und Klienten weiterentwickelt habe.
Hintergrund der Timeline-Methoden in Therapie, Coaching und Textarbeit
Die Timeline-Methoden, wie sie verbreitet in Therapie und Coaching verwendet werden, gehen zurück auf Milton Ericksons Hypnotherapie (1970er), die dann von Tad James für die Neurolinguistische Programmierung (NLP) angepasst wurde und viel in der systemischen Beratung, im Paarcoaching und im Business- und Life-Coaching angewendet wird. Zu NLP-Timelinearbeit ist sehr viel veröffentlicht worden, dort wirst du fündig, wenn dich das interessiert.
Methodischer Schwerpunkt dieses Artikels: Die Timeline-Methoden, die ich in meinen Expertencoachings, Schreibberatungen und Teamtrainings mit einem narrativen Ansatz verwende, haben ihre stärksten Wurzeln in Disziplinen rund um Texte (historische Wissenschaften, Publizistik, Journalismus) und in der psychotherapeutischen Praxis und Forschung. Ich verwende sie sowohl für individuelle Expertencoachings als auch für Gruppensettings und Innovationsprojekte.
Die Vorstellung der Methode orientiert sich an meiner Arbeit, bei der die Story und die Schulung von Narrativen Kompetenzen beim Erzähler im Vordergrund steht. Wenn du wissen möchtest, wie ich damit arbeite, findest du das im Exkurs unter diesem Artikel. Am besten, du machst dir selbst ein Bild und passe die Methode für dich an.
2. Timeline-Arbeit in der Praxis des Narrativen Coachings
Im Narrativen Coaching steht die Geschichte der Person im Mittelpunkt. Nicht das Endprodukt für die Publikation, zumindest nicht primär. Die Narration ist vielmehr der gemeinsame Forschungsgegenstand, der von Klient:in und Coach gemeinsam analysiert wird.
Identität und Handeln entwickeln sich aus den Erzählungen, die wir über unser Leben und unsere Rolle in der Welt pflegen. Zumindest sind diese auf das Engste miteinander verwoben.
Timeline-Arbeit übersetzt dieses Prinzip in Raum und Bild – sie nutzt die menschliche Tendenz, Zeit „im Raum“ zu organisieren, etwa von links nach rechts oder von vorne nach hinten, als primäres Ordnungsprinzip.
Statt nur über Ziele zu sprechen, wie oft im Business-Coaching, wird auch der Weg dorthin sichtbar und begehbar. Es gibt auch nicht die eine Interpretation, sondern verschiedene Perspektiven und Möglichkeiten werden offen gelassen.
Die Geschichten werden dabei nicht nur erzählt, sondern können auch kreativ, mit Visualisierungen, Knetmasse, Aufstellungsfiguren oder auf dem Boden dargestellt werden – das erleichtert den Hervorbringungsprozess und schafft gleichzeitig die für den Forschungsprozess nötige Distanz. Die Suche nach Bedeutungen hat mit der Dokumentation eine materielle Form und Grundlage.
Kernprinzipien der Timeline-Arbeit
Zeitliche Anordnung wird sichtbar (äußere Landkarte für innere Narrative)
Emotionen und Körpererleben sind kein Störfaktor sondern gehören dazu
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden in Beziehung gesetzt
Ziel ist nicht eine „Wahrheit“ sondern eine hilfreiche Darstellung
3. Anwendungsfelder: Expertengeschichten, Positionierung, Projekte, Teams
Je nach Kontext können verschiedene Formate der Weg zum Ziel sein, oder als Ergebnis entstehen. Typische Varianten sind:
3.1. Biografische Timeline (typisch in Einzelcoaching)
Fokus: Lebenslauf, Berufsweg, bedeutsame private und berufliche Wendepunkte.
Ziel: Identität klären, Muster erkennen, Ressourcen und „rote Fäden“ sichtbar machen. Auch im Einzelcoaching kann eine Projekt- oder Gruppenanalyse stattfinden. Ein gutes Format dafür sind Aufstellungsfiguren.
3.2. Projekt- oder Team-Timeline (Gruppen)
Zu Beginn eines Projekts oder zum Abschluss. Nach der Dokumentation oder als Anregung dafür können Leitfragen gestellt werden, etwa:
Was ist gut gelungen?
Was war schwierig?
Erkenntnisse / Schlüsselmomente
Ziel: Gemeinsames Lernen, Anerkennen von Erfolgen, Bearbeiten von Konflikt- oder Krisenphasen. Diese kann man auch gut in einer Backstory verarbeiten, für ein authentischeres Storytelling und um Learnings weiterzugeben.
3.3. Zukunfts- oder Entscheidungs-Timeline
Fokus: Mögliche Zukünfte entwerfen (Entscheidung für Weg A / B).
Ziel: Optionen emotional durchspielen, Konsequenzen erleben, stimmige Entscheidungen vorbereiten.
4. Schritt-für-Schritt-Anleitung: Eine Timeline im Coaching anlegen
4.1. Rahmen und Ziel klären
Kläre mit der Person/Gruppe: Wozu machen wir diese Timeline? (z.B. Neuorientierung oder Veränderung verstehen, Projekt reflektieren, Markenbildung für Angebote, Neupositionierung für Individuen). Definiere einen überschaubaren Zeitraum.
Arbeitsfragen zur Reflexion vorab:
Welchen Zeitraum möchte ich untersuchen?
Welche Leitfrage begleitet mich bei dieser Timeline?
Was soll mein Ergebnis sein, wofür werde ich es nutzen?
Outline: So legst du deine Timeline-Form fest
Mein Setting: Einzel / Team / Organisation
Mein Fokus: Biografie / Projekt / Entscheidung / Anderes
Zeitspanne: X Jahre / X Monate / von … bis …
4.2. Die Zeitachse vorbereiten
Lege im Raum, an einer Wand oder auf einem Tisch eine Zeitlinie (z.B. mit Tape, Seil, Papierbahn).
Markiere Anfang, Ende und ggf. wichtige Zwischenmarken (z.B. Jahre, Projektphasen, Meilensteine).
Als Coach oder Trainer:in, lass die Hauptperson/Erzähler:in entscheiden, wo die Zeitachse im Raum liegt und wie die Etappen angeordnet sind – das entspricht der eigenen inneren Repräsentation und Zeitlogik, und stärkt das Ownership.
4.3. Ereignisse sammeln
Bitte die Person/Gruppe, bedeutsame Ereignisse zu notieren (Post-its, Moderationskarten): Je nach euren Fragestellungen Erfolge, Krisen, Wendepunkte, Begegnungen, Entscheidungen, Emotionen, Erkenntnisse.
Sortieren: Je nach Ziel kannst du Reihen bilden, z.B.
Plus/ressourcenvolle Momente
Minus/herausfordernde Momente
Highlights: Erkenntnisse/Lernmomente
Ordne die Karten gemeinsam entlang der Timeline an.
Arbeitsfragen (Handout):
„Welche drei Momente waren besonders stärkend?“
„Welche drei Momente waren besonders herausfordernd?“
„Wo habe ich etwas Entscheidendes gelernt oder verstanden?“
4.4. Erzählen lassen und vertiefen
Geht die Timeline gemeinsam ab und lass erzählen: „Was war hier? Wer war beteiligt? Wie ging es dir?“
Nutze narrative Fragen, z.B.:
„Wenn diese Phase eine Überschrift hätte – wie würde sie heißen?“
„Welche inneren Sätze haben dich damals begleitet?“
„Wer war in dieser Phase eine wichtige Ressource?“
Ziel ist, die Ereignisse zeitlich zu ordnen, aber gleichermaßen auch Bedeutungen, Verbindungen und Muster sichtbar zu machen.
4.5. Muster, Wendepunkte, Ressourcen markieren
Markiert auf oder neben der Timeline:
Wiederkehrende Muster („Hier wiederholt sich etwas …“)
Wendepunkte („Ab hier wurde etwas anders …“)
Ressourcenorte („Hier war ich mutig / unterstützt / besonders klar.“)
Nutze Visualisierungen und hebe Highlights (immer in Bezug auf das Ziel) bewusst hervor: Symbole, Farben, kleine Symbole helfen, sie zu verankern.
4.6. Erzählen (mündlich oder aufschreiben, oder beides, zB aufzeichnen und mit KI transkripieren):
Erzähle oder lass die Hauptpersonen erzählen. Z. B.:
„Das sind meine drei stärksten Ressourcenmomente“
„Diese Entscheidungen haben meinen Weg besonders beeinflusst“
Für die Erzählung braucht es unbedingt Regeln: Überlegt euch voher Überschriften für die Erzählung, ggf. auch eine Struktur (Storyboard, Story-Formel aus 3-5 Phasen zum Einprägen) einen Zeitrahmen (z. B. mit Sanduhr und Glöckchenton, mit 2 Minuten Zugabe-Zeit um nicht unterbrechen zu müssen).
Wenn die Erzählungen vorgetragen oder aufgezeichnet werden sollen, macht vorher Übungsdurchläufe und lass die Erzähler selbst entscheiden.
4.6. Brücke in die Zukunft
Lade dazu ein, vom Jetzt-Punkt aus 1–3 mögliche Zukunftsszenarien zu markieren.
Fragen könnten sein:
„Wenn du deine Ressourcen aus der Vergangenheit mitnimmst – wie
sieht dein nächster Abschnitt aus?“
„Welche Art von Story möchtest du in fünf Jahren über diese Phase erzählen können?“
Optional: Eine „Future Story“ entwickeln – eine kurze Erzählung aus der Zukunftsperspektive, die an die Timeline anknüpft.
5. Auswertung und Transfer
Zum Abschluss brauchst du einen bewussten Transfer in den Alltag. Knüpfe an die anfangs definierte Ziele an.
Mögliche Auswertungsfragen (Einzel):
„Was überrascht dich an deiner Timeline?“
„Was hat sich in deiner Selbstwahrnehmung verändert?“
„Welche Ressourcen möchtest du bewusst in die nächste Phase mitnehmen?“
„Welche Geschichte über dich selbst darf ab heute leiser werden?“
Auswertungsfragen (Teams/Organisation):
„Welche Phasen haben uns als Team besonders stark gemacht?“
„Wo haben wir Energie verloren – und warum?“
„Was wollen wir in künftigen Projekten bewusst anders machen?“
Weitere mögliche Auswertungsfragen:
„Drei Sätze über mich/uns, die aus der Timeline-Arbeit entstanden sind“
„Eine Entscheidung, die ich/ wir auf Basis der Timeline treffen“
„Ein nächster konkreter Schritt (innerhalb der nächsten zwei Wochen)“
6. Hinweise zu Haltung, Tiefung und Rahmen
Timeline-Arbeit kann berührend sein – gerade im biografischen Kontext. Wichtig für das Vertrauen ist ein geschützter Raum, eine wertschätzende Atmosphäre (alle Beteiligten) und die Freiwilligkeit, bestimmte Episoden zu teilen oder auszusparen. Gib möglichst viele Entscheidungen an die Erzähler ab und sei transparent mit den Methoden.
Ein paar Tipps für hilfreiche Regeln:
Klare Rahmung und Kontrakt (ich halte mich an das wissenschaftliche Prinzip der Methoden-Transparenz: Nicht Methoden zum Geheimnis machen und auch nicht als Feuerwerk abspulen, sondern sorgfältig auswählen und die Methoden den Teilnehmern transparent erklären.
Die Dokumentation gehört den Storytellern: Gib den Klienten oder Teilnehmern die Möglichkeit, die Timeline nach der Sitzung mitzunehmen oder zu fotografieren, oder sende sie ihnen im Nachgang zu.
Bist du geschult im Umgang mit emotionalen, belastenden Episoden? Ziehe eine Fortbildung oder Supervision in Betracht, damit du dich besser kennenlernst und weißt, wie du in emotionalen Momenten reagierst und Distanz zum Geschehen wahrst. Sei auch darauf vorbereitet, dass das Setting an seine Grenzen stößt. Wie kannst du einen Raum für Aufarbeitung schaffen, wenn es den vereinbarten Rahmen sprengt, damit du die Erzähler nicht damit allein lässt? An wen kannst du ggf. verweisen in therapeutischem Kontext?
7. Resümmee
Timeline-Arbeit ist eine auf den ersten Blick einfache, aber in der Anwendung sehr tief gehende Methode. Sie ist hochwirksam, weil sie Erlebnisse, Ereignisse und die Narrative über sie sichtbar macht, Muster entlarvt und so Wiederstände aufbrechen, Blockaden lösen und neue Sichtweisen eröffnen kann. Aber gerade dieser Tiefgang verbunden mit dem systemischen Blick brauchen Schulung und Übung, einen gut vorbereiteten strukturierten Prozess und eine stabile Beziehung zwischen den handelnden Personen.
Die Timeline-Methode kann aber auch in anderen Kontexten angewendet werden. Mit Kindern zum Beispiel, oder als Aufstellung zur Eröffnung von Großgruppen-Workshops. Ich bin gespannt, von dir zu hören und mich mit dir über deine Erfahrungen auszutauschen. Schreib mir dafür eine E-Mail mit deiner Frage oder einem Beispiel aus deiner Arbeit an mail@anjatimmermann.de.
Wenn du Timeline-Arbeit in dein eigenes Coaching- oder Trainingsrepertoire aufnehmen möchtest, ist mein Training zu narrativen Methoden bzw. mein Narratives Coaching, in dem du an Fallbeispielen übst und deine eigene Geschichte aufarbeitest, ein guter Einstieg. Mehr dazu erfährst du unter anjatimmermann.de/experten und anjatimmermann.de/masterclass. Möchtest du für dein Team oder deine Organisation einen Workshop buchen? Infos findest du auf anjatimmermann.de/teams.
Exkurs: So nutze ich Timeline-Arbeit in Narrativen Coachings und Teamtrainings
Timelines bei einem Storytelling-Workshop mit den Abteilungen Presse, Marketing, Bürgerbeteiligung und Kieler Woche im Rathaus der Landeshauptstadt Kiel, 2022.
Zeitlinien kennen wir alle aus der Schule. Die professionelle Arbeit damit habe ich im Geschichts-Studium kennengelernt und während meiner Doktorarbeit angewendet. Parallel habe ich einen ganz anderen Ansatz durch meine Eltern kennengelernt, die als Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten mit narrativen Methoden in der Therapie mit Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten, und diese Arbeit auch in ihrer Forschung weiterentwickeln und in ihren Publikationen beschrieben haben.
In meiner Coach und Trainerausbildung (V.I.E.L dvct-zertifiziert) habe ich diese und andere Narrative Methoden zu einem Coaching- und Trainingsformat mit narrativem Ansatz ausgebaut und sie in der Scientific Trainer Ausbildung (Brain-HR) nochmal neuro-psychologisch fundiert und zertifizieren lassen. Nun sie sind Teil meiner Blueprint-Methode, in der ich mit Experten an der Kommunikation über ihre Expertise arbeite.
Ich nutze die Timeline-Methode übrigens als Basis aller meiner Projekte und kombiniere sie mit Storytelling-Prinzipien und -Strukturen (Storyboards). In Teamtrainings unter Nutzung des ganzen Raums, wobei sich die Wahl der Mittel an den Gegebenheiten vor Ort und den Zielen des Teams orientiert (Foto von einem Storytelling-Workshop in Kiel). Im Expertencoaching ist die Story zusammen mit Wissenslandkarte und Concept Map der Expertise Grundlage für Personal Branding und Positionierung. Im Schreibcoaching und Kommunikationstraining bilden verschiedene Timelines die Basis für Veröffentlichungen — von der Gründerstory bis zu Backstories für wissenschaftliche Projekte (Wie haben wir die Methode entwickelt?). Dann arbeiten wir damit für das Storytelling in Vorträgen und Timelines helfen bei der Strukturierung von Buchkonzepten.
Wenn du Timeline-Arbeit in dein eigenes Coaching- oder Trainingsrepertoire aufnehmen möchtest, ist mein Training zu narrativen Methoden bzw. mein Narratives Coaching, in dem du an Fallbeispielen übst und deine eigene Geschichte aufarbeitest, ein guter Einstieg. Mehr dazu erfährst du unter anjatimmermann.de/experten und anjatimmermann.de/masterclass. Möchtest du für dein Team oder deine Organisation einen Workshop buchen? Infos findest du auf anjatimmermann.de/teams.

