Wie du den Eisberg umschiffst — auch wenn du nicht die besten Voraussetzungen hast. Oder gerade deswegen.

“Die Entdeckung der Langsamkeit”, Autor: Sten Nadolny, Bild: Schauburg Theater, Buch: Piper Verlag.

 

Würdest du einen langsamen Mitarbeiter einstellen?

Oder würdest du freiwillig mit einem einem langsamen Kollegen arbeiten? Oder wie wäre es mit einem langsamen Chef?

Eigentlich nicht, oder? Vielleicht denkst du: “Vorsicht, Fangfrage. Vielleicht sollte ich doch lieber ‘ja’ sagen?” Aber eigentlich hast du innerlich für dich schon in den ersten Millisekunden entschieden, dass das für dich nicht infrage kommt.

Thema dieses Blogposts ist nicht die Langsamkeit an sich. Es ist mein Beispiel, um dir zu verdeutlichen, warum du oft in Gesprächen das Gefühl hast, gegen einen Eisberg zu fahren — und wie du ihn umschiffst. Oder noch besser: auflöst (nur metaphorisch natürlich).

Eine häufige Sorge (vielleicht sogar die größte) von Selbstständigen, Gründern und Nonprofit-Managern, die ihr Projekt wachsen lassen wollen, ist diese:

Es gibt Widerstände gegen mein Angebot. Wie kann ich die überwinden?

Die meisten von uns (ambitionierten, idealistischen Machergeistern mit Qualitätsbewusstsein) wollen die meiste Zeit über mehr oder weniger dringlich wissen: wie kann ich die Widerstände bei dem Menschen überwinden, mit denen ich gern arbeiten möchte? Bei anderen wäre das auch schön, aber wir können uns ja nicht um alles kümmern, und ich habe mir in den Kopf gesetzt, dir zu zeigen, wie du dein Wissen zu einem profitablen Projekt machen kannst.

Das Problem: schon mit der Frage wird unser Wahrnehmungskreis eng. Und einseitig. Unser Mind macht “snap” wie das kleine Krokodil und wir sind auf einer monokausalen Einbahnstraße unterwegs. Wir sitzen vor dem Widerstandsberg fest wie das Papierschiffchen vor dem Eisberg. Und beginnen, langsam zu sinken.

Aber ist es nicht so, dass die geäußerten Einwände (alle Varianten von keine Zeit, kein Wissen) nur Projektionen von der Entscheidung sind, die schon in Millisekunden getroffen wurde?

So arbeitet unser Hirn nun mal. Und nun wird durch situationsangepasstes Rationalisieren etwas formuliert, das ein “Nein” umschiffen soll.

Warum hat sich unser Gegenüber aber dagegen entschieden, die Frage wäre hier angebracht, bevor wir anfangen, nun auf die Einwände rein rationell einzugehen wo wir uns direkt in einem Modus von Druck rein (bißchen ruckeln das passt schon) oder Druck raus (Preisnachlass) zu verfahren.

Es ist doch so: Egal ob die Antwort “Ja” oder “Nein” lautet — sie resultiert aus einem regierenden Script. Wird ein Problem angesprochen, sucht unser Hirn nach einem Story-Script. Nur wenn die Story zu diesem Problemfeld (und die meisten kennen wir schon sehr lange) und dieser Art von Angeboten (da haben wir unsere Schubladen), für deinen Kunden selbst Sinn macht, wird er sich für das Angebot entscheiden.

Aufgrund einer gewissen Geizigkeit des Hirns (schau mal bei Cognitive Miser) ist ihm diese Story aber nicht bewusst. Das Problem ist, dass wir bei unserem Monolog absolut überzeugt sind, dass wir von den richtigen Annahmen ausgehen und unsere Story die Richtige ist, ergo dass unser Gegenüber das schon verstehen wird. Aber auf der anderen Seite sitzt auch jemand, der genauso überzeugt ist, dass seine Story die Richtige ist (Langsamkeit ist schlecht fürs Geschäft, oder nehmen wir homöopatische Kügelchen).

Mein Tipp: erzähle die Story des Skeptikers.

Das ist die Story, die das Weltbild der Person, die dein Angebot annehmen soll, mit einschließt. Aber nur wenn die Möglichkeit besteht, dass sie auch für deine Idee grundsätzlich offen ist. Ein Samenkorn an Übereinstimmung muss da sein.

Erkläre also nicht nur, warum dir deine Idee so wichtig ist (sagen wir, du arbeitest für Behindertenheime und versuchst, Menschen mit Defiziten in Arbeit zu bringen, weil du selbst ein Geschwister mit einer Behinderung hast). Sondern auch, warum du genau diesen Lösungsweg für den Richtigen hältst, deine spezielle Methode. Sagen wir, du kannst zeigen, dass ein Mensch mit Defiziten einem Team helfen kann, zu einem besseren Team zu werden, wenn dies durch eine erfahrene Person moderiert wird (du ahnst es schon, ich war in einer I-Klasse).

Lade die andere Person ein, die Welt mit deinen Augen zu sehen und sich darauf einzulassen. Kennst du das Lied: “Let me take you by the hands and lead you through the streets of london — and show you something that makes you change your mind”?

So wirst du nicht nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Person sich für dein Angebot entscheidet (denn hier entscheidet sich ein Mensch, es wird weder ein Lead generiert noch ein Abschluss gemacht, sondern eine Einladung ausgesprochen, nur eine kleine Erinnerung an dein Fülle-Charisma, alles intakt?) — sondern du kannst die Widerstände (verbalisiert als Einwände, unter Wasser und über Wasser, um beim Eisberg zu bleiben) von Anfang an verhindern.

Nun zum Buch “Die Entdeckung der Langsamkeit” und warum ich es als Beispiel für die Umschiffung oder Schmelzung von Eisbergen ausgewählt habe:

Die Entdeckung der Langsamkeit

Auf einer der ersten Seiten des Buchs gibt es eine Szene, in der John Franklin in seinem Dorf die Hühner beobachtet. Er schafft es einfach nicht, zwischen zwei verschiedenen Posen eines Huhns die Bewegung zu erkennen. In einem Moment pickte das Huhn, im anderen Moment schaute es wie starr in eine völlig andere Richtung. Hühnern fehlte einfach der Sinn für das Gesammelte und eine angemessene Bewegung.

Die Szene habe ich mit Theologen an der Uni Heidelberg in einem Stimmtraining rezitiert. Wir schritten schwingend, uns mit langen Armen drehend und klingend wie Kirchenglocken durch den Raum und rezitierten Bücher. Diese Stelle mit den Hühnern haben wir so oft rezitiert, dass sie sich mir einprägte, ich das Buch kaufte und es noch am selben Sommertag (einer dieser mit 36 Grad im Dachbodenzimmer, an denen man eh kein Auge zubekam) durchlas.

Worum geht es?

John Franklins  Wahrnehmungsvermögen unterscheidet sich tatsächlich fundamental von dem anderer  Menschen; aus diesem Grund kann er bestimmte Handlungen und Bewegungen  optisch nicht verfolgen und bietet Gleichaltrigen eine breite Angriffsfläche für was man heute Mobbing nennen würde. Aber er hat eine Sehnsucht: er wollte Kapitän werden und die Nordwestpassage entdecken.

Durch die hartnäckige Verfolgung seines Plans und die beharrliche Ausbildung sieiner Fähigkeiten, wie genaues Beobachten, ein exzellentes Gedächtnis und Willenskraft, schafft er es, ein guter Kapitän zu werden und bringt es sogar zu einiger Anerkennung bei der wissenschaftlichen Gesellschaft in London.

Die Entdeckung der Langsamkeit ist zugleich eine Verteidigung der Gegenwart.

… sagt ein Review, das ich auf JSTOR gefunden habe (https://www.jstor.org/stable/406720).

Die Idee, dass Langsamkeit im Bündel mit Fähigkeiten daherkommen kann, die in unserer hektischen Arbeitsskultur von Vorteil sein könnten, ist demnach gar nicht so verkehrt:

  • John Franklin erwies sich aus ausgezeichneter Navigator und Wetterexperte.

  • Auf ihn konnte man sich verlassen und er konnte gut zuhören.

  • Wo andere hektisch umherrannten wie die Hühner, traf er durchdachte, nachhaltige Entscheidungen und brachte eine unbeachtete Perspektive mit ein.

Würdest du also zu einem Gespräch bereit sein, in dem ich dir mein Projekt vorstelle und du Fragen dazu stellen kannst, wie es wäre, eine Person mit Defiziten in dein Team zu integrieren — und wie dein Team davon profitieren kann?

Möglicherweise würde ich eine Reihe von “Jas” auf diese Frage bekommen.

Das ist der Grund, warum Nonprofit-Organisationen oft mit sehr tiefgehendem Storytelling arbeiten. Wie PLAN International, deren schöne Briefe ich sehr gern lese, insbesondere wenn sie einen Bleistift verschenken, als die Waffe der Frau.

Sei eine Kauffrau, ein Kaufmann. Tausche Widerstände gegen Übereinstimmung.

Darauf läuft schließlich alles hinaus. Wenn es keine Übereinstimmung auf der Ebene der Story-Scripte und der Werte gibt — warum solltest du dann mit der Person arbeiten? Verhindere negative Energien und sieh das Storytelling in deinem Marketing nicht als Druckbetankung mit Erfolgszwang, sondern als unterhaltsame Forschungsreise nach Möglichkeiten für eine gemeinsame Story.

Try it and see! Halt mich auf dem Laufenden.

Deine Anja

 

Quelle: Sten Nadolny, Die Entdeckung der Langsamkeit, verschiedene Ausgaben, ich habe die 25. Auflage 1995 im Piper Verlag. Erstmals erschienen 1987.

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Te Ata ⁕⌇⋗ Storytellerin eines Volkes

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