Der innovativste Garten der Welt, und was wir in ihm über Stil lernen können

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Paris, Stadt des Lichts, und des Stils

In diesem Oktober war ich ein paar Tage in Paris. Stadt des Lichts, sagt man in Kolumbien, in Europa ist Paris ja vor allem dafür bekannt, dass Mode und Stil hier quasi zuhause sind. Während vor unseren Füßen noch die Zelte und Podeste der Paris Fashion Week weggeräumt wurden, waren wir auf der Suche nach KUNST-Inspiration und dem ECHTEN pariser Lifestyle — und fanden erstere natürlich im Louvre, und letzteren eigentlich überall, aber vor allem an den Ufern der Seine und in der Form von Schokobrioche und Fisch-Casserole in supersympatischen, erschwinglichen kleinen Restaurants und auf einfach überwältigenden Märkten.

Im Bild siehst du übrigens ein bei der Paris Haute Couture Week 2021 vorgestelltes Kostüm der indischen Designerin Vaishali Shadangule aus ihrer Kollektion ShwasBreath. Ihr Expertenthema: Natur und Nachhaltigkeit. Sie war die erste weibliche Designerin mit Einladung von der Federation de la Haute Couture et de la Mode, hier, an der Schule Lycee Victor Duruy ihre Arbeit zeigen durfte. Ihr Statement aus der Pressemappe: “I am elated to have been selected by such a prestigious platform to showcase my passion for textiles and my commitment to sustainability.” Ihre Kollektion verwendet Naturstoffe aus verschiedenen Regionen Indiens und ist inspiriert vom Fluss der Energie in der Natur.

Wer mich kennt kann es sich denken (gar nicht seefest): Mich zog es weniger auf den Eiffelturm (und ich war nicht allein als ich unten gewartet habe), sondern in den Jardin des Plantes. Grüne Oasen sind für mich als Göttingerin schon immer mein Fluchtpunkt, aber dieser botanische Garten hat etwas MAGISCHES. Ich halte ihn ja für die Quelle der modernen Naturwissenschaften — und die waren von den Wissenschaften des Geistes nicht immer so scharf getrennt wie heute. Wie wir gleich sehen werden.

Ein Name der sowohl in den Bibliotheken der Welt und in der lateinischen Pflanzenkategorisierung (Carl von Linné 1772) als auch hier im Jardin des Plantes besonders auffällt, ist BUFFON. Georges-Louis Leclerc de BUFFON war einer der innovativsten Forscher der Aufklärung, bekannt als Modernisierer des Jardin des Plantes in Paris, hatte einige höchst eigene Thesen zum Thema Stil.

Was habe ich also gelernt, als ich da oben auf dem Labyrinthberg im Buffonschen Pavillion mit meiner Tochter saß und wir unsere schmerzenden Füße ausruhten von der großen Stadt und in unsere Journals schrieben?

Der innovativste Naturforscher im (zu der Zeit) innovativsten Garten der Welt interessierte sich vor allem für eines: Stil

Es war eine fulminante Antrittsrede, als Georges-Louis Leclerc de Buffon 1753 in die Académie française aufgenommen wurde — kaum eine andere wurde so viel und noch so lange zitiert. Da hatte Buffon mit einem Herzensthema einen Fußabdruck hinterlassen. Ob das so beabsichtigt war? Die Rede trägt den von einem vielschreibenden und voller Innovationsideen steckenden Naturforscher völlig unerwarteten Titel »Discours sur le style« („Abhandlung über den Stil“) und behandelt wichtige Merkmale für stilvolle Texte und Gespräche. Sie war Grundlage für eine eigene STILTHEORIE, die noch lange Zeit danach von großer Bedeutung sein sollte. Stil wird in ihr zum Phänomen, das auf dem Charakter eines Menschen beruht und in diesem selbst liegt.

»Le style c’est l’homme.« – „Der Stil ist der Mensch.“ So lautet der heute noch vielzitierte Ausspruch des eigentlich als Botaniker eingestellten Intendanten des wichtigsten Forschungsgartens der damaligen Welt.

Natürlich war die Stilauffassung Buffons nicht grundsätzlich neu und bahnbrechend, denn der Topos des individuellen Stils wurde bereits in der Antike geprägt und beschrieben. Aristoteles hat den Stil erstmal in drei verschiedene STILARTEN, den schlichten, den mittleren und den erhabenen Stil, die je nach Publikum angewendet werden und mit eigenen Stilmitteln überzeugen sollten (wie die drei Phasen einer Story mussten es natürlich drei sein). Dabei ging es ihm nicht mehr allein um den Wohlklang der Worte, sondern auch um die richtige Wortwahl, die sich nach den Bedürfnissen der Adressat*innen richten sollte, ohne der Klarheit der Rede zu schaden. Aha, liebe Expertenstatus-Aspirant:innen unter den Lesern, dämmert euch, worauf das hinausläuft?

Von da an entwickelte sich der Stil als Teilgebiet innerhalb der Rhetorik immer weiter, ehe er sich im 19. Jahrhundert aus dem Fach herauslösen und, in Form der Stilistik, als eigenständige Disziplin neben der Rhetorik etablieren konnte. Heute ist die Stilforschung nicht nur ein hochkomplexes Feld, dass sich durch eine starke Interdisziplinarität auszeichnet. Und gar nicht verstaubt: Stilistik hat sogar mein Sohn gerade in der 9. Klasse behandelt.

Aber was hat Buffon, der es wichtig fand, einmal am Tag in seinem Pavillion auf dem Hügel zu sitzen und zu sinnieren, denn nun eigentlich gemeint? Stil ist die erste Tugend des Wissenschaftlers und Experten, meinte er, denn nicht nur die Inhalte, sondern auch die Art und Weise wie diese präsentiert und ausgedrückt werden, überzeugen und machen Menschen zu “Followern”. Das war auch in der politischen Landschaft in Paris damals sehr wichtig, das war dem früheren obersten Verwalter der Salzsteuer sehr wohl bewusst: ohne Einfluss geht es nicht.

Wer sich im öffentlichen Diskurs einbringen will, braucht eine eigene Sprache und Mentalität sowie individuelle Mimik und Gestik; der Stil des Auftritts trägt entscheidend zur Persuasion bei.

Genau darin liegt dann auch die Schattenseite des Stils: Denn er entscheidet mit über den kommunikativen Erfolg von Reden und Aussagen, und das oft unabhängig davon, ob die Inhalte richtig oder falsch sind. Überzeugender Stil hilft, vermeintliche Wahrheiten und Narrationen zu festigen. Und wenn man sich so umschaut, wer besonders viel Aufmerksamkeit erhält, dann wird klar, dass auch mit falschen Fakten Menschen überzeugt werden können; sie müssen nur in einem entsprechenden, meist vereinfachenden und emotionalisierenden, Stil vorgebracht werden.

Meine These:

Daher sollte es unsere Aufgabe sein, uns kritisch mit Stilfragen zu beschäftigen und fragwürdige Anwendungen oder Entwicklungen aufzudecken. Aber alle kritische Haltung sollte uns nicht abschrecken, selbst da raus zu gehen mit unserem Expertenthema, unseren Thesen und Ideen — und unserem Stil. Eine starke Verankerung in den eigenen Inhalten (formuliere Thesen!) und eine eigene Stilsicherheit (ja, die festigt sich durch >>aua<< ehrliches Feedback) sind dabei meiner Auffassung nach in jedem Fall der richtige Weg: geh die Expertenreise mit Stil — in deinem STYLE.

Die gute Nachricht: Stil musst du nicht irgendwo einkaufen, der kommt aus dir selbst heraus. Dann ist er nachhaltig, und so meinte Buffon das. Authentisch eben. Ok ok, damals waren es vielleicht kostspielige Klamotten und das nötige Kleingeld für die exklusiven Clubs und Restaurants (Buffon war es um ehrlich zu sein durch eine Erbschaft zugefallen) — heute hilft es, deinen Stil mit einem professionellen Branding zu unterstreichen.

Aber, so lernen wir von Buffon: der Stil des Experten drückt sich zuerst aus im Wohlklang der Worte und der richtigen Wortwahl, die sich nach den Bedürfnissen der Adressat*innen richten sollte, ohne der Klarheit der Rede zu schaden.

Im Bild siehst du übrigens einen Vogel aus der Histoire Naturelle, dem berühmten Werk Buffons und Meilenstein der modernen Naturwissenschaften. Ich habe genug dieser Bücher gesehen in den 10 Jahren Doktorarbeit, um sagen zu können: hat schon einen besonderen Stil.

Jetzt du:

Sagen wir mal mit Schopenhauer: „Der Stil ist die Physiognomie des Geistes“, will sagen: Stil macht die geistige Haltung eines Menschen sichtbar und sagt viel über dessen Denken und Fühlen aus. Platt gesagt:

💡Was ist es, was andere an dir wahrnehmen und erinnern, das von der Norm abweicht?

💡Wie kannst du das rausfinden? (zum Beispiel mit jemandem, der dir ehrliches Feedback gibt)

💡Wo sind kleine Hebel, mit denen sich eine große Wirkung erreichen lässt? Und umgekehrt: an welchen großen Hebeln schraubst du vielleicht gerade, die nicht auf dein Stilkonto einzahlen? Weil du etwas machst, was nicht wirklich DEINS ist?

Dein Partner in Style — authentisch, von innen nach außen

Anja

PS: Es wäre übrigens schon sehr verwunderlich, wenn es nicht jemanden mit ganz schlimmem Stil in Buffons unmittelbarem Umfeld (vielleicht ein Konkurrent? Etwa sogar einer der Anwesenden?) gegeben hätte, der Buffon zu dieser emotional vorgetragenen These veranlasst hätte. Geht es dir nicht manchmal auch so? Super. So ein Trigger bringt manchmal das Beste in uns heraus und unsere Thesen schärfen sich und laden sich mit der Energie auf, die es braucht, um durch das Stimmgewirr zu dringen (hier sicher nicht des Publikums, aber der Jahrhunderte).

PPS: Es ist natürlich nicht so leicht, einen Artikel über Stil der Sprache zu schreiben, wohl wissend, dass anspruchsvolle Leser (dazu gehörst du bestimmt) auch den eigenen Stil unter die Lupe nehmen. Gestern habe ich mich zum Beispiel wieder mal mit einem Segment meiner Kundschaft auseinandergesetzt, der ein ungefragtes “du” für einen unmöglichen Stil hält — auch wenn mir bewusst ist, dass sich in der du-Frage die Geister scheiden und es keine one-fits-all Lösung gibt, bleibe ich für den Moment beim “du” und freue mich weiterhin über euer ehrliches Feedback. Schreib mir doch mal zu meinem Artikel, und auch wenn du jetzt überlegst, wie du die Stilfrage noch besser für deinen Expertenstatus nutzen kannst — ich tausche mich gern mit dir darüber aus, und vielleicht habe ich ja noch eine Idee für dich.

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