Storytelling: Verborgene Strukturen der Macht in Teamkulturen aufdecken
Ein Edelmann heiratet in zweiter Ehe eine hochmütige und herrschsüchtige Frau, die zwei ganz nach ihr geratene Töchter hat. Seine eigene, schöne, fleißige und begabte Tochter lässt die Demütigungen klaglos über sich ergehen und versorgt wie eine Dienerin den Haushalt. Wir alle kennen den Fortgang und das Ende der Geschichte, an dem Aschenputtel nicht nur ihre Belohnung sondern auch eine neue Rolle erhält, die weit über ihre Vorstellungen hinaus geht.
Die verkitschten Varianten des wohl bekanntesten Märchens der Brüder Grimm haben gerade zur Weihnachtszeit Hochkonjunktur im Fernsehprogramm — die Geschichte gehört längst zum Inventar unserer kulturellen DNA.
Unsere kulturelle DNA enthält Schätze die uns nicht bewusst sind
Aber ist uns auch bewusst, welche Lehren diese Geschichte enthält? Was darin an Parallelitäten zu unserem täglichen Miteinander steckt, erstaunt mich jedes Mal, wenn ich einen dieser Märchenfilme mit meinen Kindern anschaue. Auch wenn die Darstellung in den Filmen, und selbst die Texte der Brüder Grimm selbst, von einige Schichten der Veränderung verdeckt sind, die dem jeweiligen Interesse entsprechend aufgetragen wurden. So war den Brüdern Grimm im Gegensatz zu ihren Geschichtensammlern (und vor allem -sammlerinnen) eine standesgemäße, ins Hausväter-Weltbild passende Erziehung der Frauen ein Anliegen — unverkennbar tragen ihre Veröffentlichungen diese Handschrift. Menschliches Rollenverhalten gehört auch in der heutigen Arbeitswelt zu einem der beständigsten Faktoren — und so können die Volksmmärchen eine sehr klare, manchmal ja auch etwas rohe, Sicht auf das Miteinander in unserer Arbeitswelt bieten. Ein guter Anlass für die Reflexion der Kommunikationskultur im Unternehmen, oder im Team.
"Familie" und “Unternehmen” - oft dasselbe Thema im Märchen
Sabine Pelzmann und Olivia de Fontana schauen mit der Brille von Machtverhältnissen und Führungsverhalten auf einige der Märchen der Brüder Grimm in ihrem Buch
"Führung und Macht. Aspekte moderner Führungsrollen — gesehen in den Figuren der Grimm'schen Märchen"
In Dialogform erfährt man ihre Reflexionen dazu — aus wissenschaftlicher Perspektive und vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung als Organisationsberaterinnen.
Der “Aschenputtel-Moment”: In Kulturen ohne Vertrauen ist das Potential nicht sichtbar
Aschenputtel stellen uns die Autorinnen als ein Märchen vor, in dem die Fusion zweier Systeme thematisiert wird — und was passiert, wenn keine Vertrauenskultur herrscht. Außerdem geht es um den Umgang mit Talenten: Wie kann ein junger Mensch unter widrigen Umständen sein Vertrauen in die Organisation behalten, wenn die direkten Vorgesetzten alles dafür geben, um dieses Vertrauen zu zerstören? Hatten wir nicht alle in unserer beruflichen Karriere diese Aschenputtel-Momente?
"Aschenputtel ist ein Märchen darüber, was es bedeutet, lange Zeit im Verborgenen zu stehen. Ein Märchen über ungehobene Schätze, die man nicht nach außen sieht. Fähigkeiten, die von der Führungskraft vielleicht nicht gefördert werden und die das neue Management vielleicht auch nicht sieht." (S. 121).